„Ein Leben an der Schwelle“ - Festvortrag, AKH 2004
A.M. Rokitansky

Sehr geehrtes Auditorium!

Es ist mir eine besondere Ehre und Freude, dass ich im Rahmen dieser Festveranstaltung des Kongresses der österreichischen Gesellschaft für Pathologie 2004, am Allgemeinen Krankenhaus in Wien, betrachtende Worte im Zusammenhang mit dem Leben meines Vorfahren an Sie, geehrtes Auditorium, richten darf.

Als Bürger des Kaisertums Österreich wurde Carolus Rokitansky am 19.2.1804 in Königrätz geboren, er studiert zuerst in Prag und wechselt 1824 in den Süden an die Universität in Wien. 1828 promoviert er zum Doktor der gesamten Heilkunde. Rokitansky hatte 4 Söhne, es waren Hans (Hofopernsänger), Viktor (Lehrer am Konservatorium in Wien), Karl (Universitätsprofessor für Frauenheilkunde in Graz) und Prokop (Universitätsprofessor für Innere Medizin in Innsbruck). 1844 wird Rokitansky im Alter von 40 Jahren zum ordentlichen Universitätsprofessor ernannt und gründet die pathologische Anatomie in Wien als Lehrfach. Sein Tätigkeitsgebiet war bekanntlich das Wiener Allgemeine Krankenhaus, initialisiert durch Josef II., eröffnet im Jahre 1784. Die Eröffnung dieses Krankenhauses gehört sicherlich auch zu den positiven Signalen des Josefinismus, in jenem aufgeklärten aber relativ streng überwachten Staat, in dem „alles für das Volk und nichts durch das Volk“ vollzogen wurde.

Gestatten Sie mir die Gliederung dieser persönlichen Betrachtung in 4 Abschnitte.

  1. An der Schwelle zur naturwissenschaftlichen Medizin,
  2. an der Schwelle der politischen Veränderung,
  3. an der Schwelle des philosophischen (Um-) Denkens,
  4. an der Schwelle des Todes.

1. An der Schwelle zur naturwissenschaftlichen Medizin:

War man beispielsweise, repräsentiert durch den, am 31.3.1927 in England verstorbenen Physiker und großen Präsidenten der Royal Society in London, Isaac Newton auf dem Gebiet der Mathematik, den Bewegungsgesetzen der Mechanik und dem bereits 1687 gefundenen Gravitationsgesetz in diesem Bereich gemäß der geltenden Auffassung bereits da und dort naturwissenschaftlich fundiert, so gründete es sich u.a. wohl in der physiologischen und pathophysiologischen Komplexheit des Menschen, dass die Medizin damals noch in Kinderschuhen steckte. Man verspürte das große – möglicherweise immerwährende - Attribut der Naturwissenschaften, das Newton in Worten skizzierte in dem er sagte: „Sein und Wissen ist ein uferloses Meer. Je weiter wir vordringen, umso unermesslicher dehnt sich aus, was noch vor uns liegt. Jeder Triumph des Wissens schließt hunderte Bekenntnisse des Nichtwissens in sich“. Rokitansky stellte sich diesen Wissensdefiziten kritisch und formulierte treffend: „Die Mängel an denen die ärztliche Wissenschaft in der Tat leidet, teilt sie mit anderen ihr verwandten Wissenszweigen“.

Die erste Wiener Medizinische Schule, geprägt durch das Wirken von Gerard van Swieten, de Haen, Stoll, Auenbrugger, Störck und Frank, vollzog mit Carolus Rokitansky jenen Paradigmenwechsel von einer naturphilosophischen zu einer naturwissenschaftlichen Methode der medizinischen Forschung. Der Grundstein der 2. Wiener Medizinischen Schule war gelegt. Skoda verbesserte die Perkussionsmethode Auenbrugger´s, Hebra legte den Grundstein einer wissenschaftlichen Dermatologie und Semmelweiss erkannte die infektiöse Genese des Kindbettfiebers. 1846 publizierte Rokitansky seine 3-bändige Monographie der Pathologischen Anatomie: „Die, bei den Obduktionen zu Tage getretenen Organveränderungen sind vom rein anatomischen Standpunkt wissenschaftlich zu erfassen und zu ordnen. Die wesentliche zweite Aufgabe war zu zeigen, wie die erhobenen pathologischen Befunde für die Diagnose am Lebenden zu verwerten seien“. Das Werk war Zeugnis einer unermüdlichen Beschäftigung Rokitansky´s mit den Krankheiten, die er im Laufe der Zeit in 59.785 protokollierten Obduktionen untersuchte. Dazu kamen auch eine Vielzahl von gerichtsmedizinischen Obduktionen.

1848 wurde Rokitansky Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Wien, 1850 zum Dekan der Medizinischen Fakultät gewählt und er übernahm in diesem Jahr auch die Leitung der Gesellschaft der Ärzte in Wien. 1852 wurde Rokitansky Rektor der Universität in Wien und Mitglied des obersten Sanitätsrates. 1856 und 1859 wurde Rokitansky neuerlich zum Dekan der Medizinischen Fakultät gewählt und eröffnete 1862 das neue Pathologisch-Anatomische Institut in der Spitalgasse in Wien, ein Gebäude, in dem jahrelang hochkarätige pathologische Anatomie bis in das 20. Jahrhundert betrieben wurde. Mit der Übersiedlung der klinischen medizinischen Einrichtungen aus dem traditionellen josefinischen Allgemeinen Krankenhaus in den Neubau am Währinger Gürtel, etablierte sich in dem „Rokitansky´schen Gebäude“ (indigandis sedibus et causis morborum) in der Spitalgasse, das Institut für Neuropathologie. 1858 publizierte Rokitansky die Schrift mit dem Titel „Zur Orientierung über Medizin und deren Praxis“ und 1862 jene mit dem Titel „Der selbständige Wert des Wissen“. 1866 wurde Rokitansky Vizepräsident und 1869 Präsident der Akademie der Wissenschaften in Wien. In diesem Jahr publizierte er ein Thema über die „Solidarität des Tierlebens“. 1870 wurde Rokitansky Präsident der Anthropologischen Gesellschaft und an seinem Lebensabend erhielt 1874 den Leopold-Orden, sowie die Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien. Auf Grund seiner medizinischen Leistungen wurde er in den Freiherrenstand erhoben. Zu letzterem Anlass meinte er, in überlieferter Weise, es wäre „ein Zeremoniell, das ich ohne jedwede Rührung an mir vorübergehen ließ. Viel wichtiger war mir die Aufnahme an die Akademie der Wissenschaften in Paris.“

Im Gleichklang des Paradigmenwechsels von der naturphilosophischen zur naturwissenschaftlichen Methode in der Medizin propagierte Rokitansky in besonderem Maße die kollegiale Kooperation, in dem er sagte: „Es (das Wissen) wird durch die vielfache Entlehnung nicht geringer, viel mehr fließen ihm aus Verarbeitung des Entlehnten hervorgegangenen neue Elemente als Zinsen zu.“. Damit erkannte und unterstrich er den Wert des Dialogs, dieses aufeinander zukommen, um einen dialektischen Prozess einzuleiten, in dem sich von der These über die Anti-These schließlich eine griffigere Synthese entwickeln kann. Rokitansky würdigte den Anderen. Er erkannte die Wichtigkeit, um sich hier, aus heutiger Sicht, an den viel späteren großen Philosophen Martin Buber zu erinnern, des Weges vom „Ich zum Du“ (1922) in dem er sagte: „Bis ein anderer, ein Dritter kommt, der den Tumult klärt und neue Gebilde entstehen lässt“.

Im besonderen Maße hat die Publikation aus dem Jahr 1875 über die „Scheidewanddefekte des Herzens“ Eingang in die medizinische Welt gefunden und bis heute sowohl ihren Wert als auch ihre Aktualität erhalten. Diese paradigmatische Schwelle, wo aus naturphilosophischer Spekulation durch exakte morphologische Studien und reflektives Denken ein naturwissenschaftliches Fundament der Medizin entstanden ist, dokumentiert sich auch darin, dass die Traktionsdivertikel des Oesophagus, die Nebenlunge, die Amyloidniere, die Pulmonalstenose kombiniert mit VSD und Dextroposition der Aorta, der Mitralstenosenerkrankte, bei dem seltener Lungentuberkulose gefunden wurde, die Darmschleimhauthernie (Divertikel), die Aplasie der Müller´schen Gänge und die vier Herzschnitte in der pathologisch – anatomischen Nomenklatur mit dem Namen Rokitansky verbunden wurden. Der, von der Natur gegebene „Acker“ ist vorhanden, die Kenntnis darüber und seine Pflege in einer, von Ethik getragenen, um größte Exaktheit bemühten Naturwissenschaft liegt in unseren Händen und ist eines der vornehmsten Prädikate, die humanitäres Menschentum auszeichnen.

2. An der Schwelle der politischen Veränderung:

Die ursprüngliche politische Situation, mit der Carolus Rokitansky konfrontiert war, hatte sich dem Konservativismus verschrieben. Der direktive Stil, in dem man Freidenkertum als kontraproduktiv, ja sogar für die Staatsstruktur gefährlich erachtete, dokumentiert sich im Ausspruch des damaligen Kaisers Franz, der unter anderem sagte: „Ich brauche keine Gelehrten, sondern brave Bürger. Wer mir dient, muss lehren was ich befehle, wer das nicht kann und mir mit neuen Ideen kommt, der kann gehen oder ich werde ihn entfernen.“. Hinzu kam das Wirken des Staatskanzlers Metternich, der ein wesentliches Merkmal seines Systems in der rigorosen Unterdrückung jeglicher liberaler, nationaler und demokratischer Strömungen sah. Die Zementierung der monarchischen Ordnung stand im Vordergrund und der verhaltene, absolutistische und direktive Stil entfachte die Sehnsucht vom Schritt aus dem Konservatismus in den Liberalismus. Die preußischen Reformen von Stein und Hardenberg setzen mit den „Voraussetzungen für den Übergang vom absolutistisch regierten Stände- und Agrarstaat zum bürgerlichen Verfassungs-, National- und Industriestaat“ ein deutliches Signal. Inhaltlich betroffen waren die Bauernbefreiung mit der Beseitigung der bäuerlichen Erbuntertänigkeit, die Stein´sche Städteordnung mit der Einführung des Prinzips der Selbstverwaltung auf kommunaler Ebene unter Mitwirkung der Bürger, die Gewerbefreiheit mit Aufhebung der Zunftordnungen, die Judenemanzipation mit bürgerlicher Gleichstellung der Juden, die Schaffung der 5 klassischen Ministerien, die Heeresreform, sowie die Erziehungs- und Bildungsreform die sich der Selbständigkeit und dem Nationalbewusstsein im humanistischen Sinne verschrieben hatte. Den Konservativismus kritisierend, dieser gleichsam als Gegenmaßnahme zur französischen Revolution versteinert, wo Staat, Gesellschaft, Recht und Kultur nicht als organisch entwickelte Gebilde geachtet wurden, die sich nicht nach Ideen, Theorien und Verfassungen ändern lassen, sehnte man sich nach dem Liberalismus, der in der westeuropäischen Aufklärung wurzelte. Auf den Fortschritt der Vernunft vertrauend, bezieht sich der Liberalismus auf die Verwirklichung der individuellen Freiheit und der Wahrung der Menschenrechte, der Glaubens-, Presse-, Meinungs- und Rechtsfreiheit.

In den Jahren 1820 bis 1840 finden wir den beschreibenden Begriff der industriellen Revolution, d.h. den Übergang einer Agrar- zu einer Industriegesellschaft, dort wo Maschinen Menschen ersetzen, sich damit die Arbeitsaufgaben ändern, mit dem vielleicht allzu euphorischen Ziel der Gesellschaft Produktivität und materiellen Profit zügellos zu steigern. Es ging zu oft auf Kosten anderer. Im Rahmen der Neuentwicklung der Arbeiterklasse sind auch Kinder nicht mehr ausgenommen. Am 27.5.1832 erleben wir auf dem Hambacher Fest eine Massenkundgebung des süddeutschen Liberalismus, mit Teilnahme polnischer Flüchtlinge, die Präsenz von 30.000 Bauern, Bürgern, Studenten und Arbeitern, die die Volkssouveränität fordern. Der Übertritt der Schwelle vom Konservativismus zum Liberalismus war ein blutiger, so wie 1848 nahezu zeitgleich in den Habsburgischen Ländern national-liberal und sozial motivierte Aufstände ausbrachen.

Carl Rokitansky gestaltete nicht nur einen Teil der Geschichte der Wiener Medizinischen Schule, sondern wirkte auch in der Ära des österreichischen Hochliberalismus mit. Sein Streben nach Freiheit und Fortschritt wurde von ihm wiederholt formuliert. In dem 1862 erschienen Statement mit dem Thema „Freiheit der Naturforschung“ betonte er „Wo der Gelehrte ein Knecht ist, kann keiner frei sein“. Die Gegner des Metternich´schen Systems sind auf den Plan gerufen und der, 1863 ernannte Staatsminister Schmerling nahm den liberalen Rokitansky als Studienreferenten in sein Innenministerium. 1867 wurde Rokitansky zum lebenslänglichen Mitglied in das Herrenhaus berufen, wohl hier auch im Sinne der Verstärkung der liberalen Verfassungspartei. Rokitansky bewies Gewandtheit, in dem er politische Plädoyers tunlichst auf die, ihm bekannte und geliebte Materie der medizinischen Wissenschaft und der freien universitären Lehre abstellte. Er hat sich wohl, so meine ich, aus der einen oder anderen ausufernden politischen Debatte herausgehalten, um sich nicht zu früh in seinem naturwissenschaftlichen Werk neutralisieren zu lassen. 1868 trat er als Hauptredner der liberalen Herrenhausmehrheit, in den Verhandlungen über die Konfessionsgesetze, für die strenge Trennung von Staat und Kirche ein: „Ich werde dagegen eintreten (der Klerus dominant mitbestimmend an der universitären Lehre), weil ich darin einen Schirm gegen mittelalterliche Verwilderung, gegen kirchliche Sklaverei, weil ich darin ein Palladium der Lehr- und Gewissensfreiheit sehe“.

3. An der Schwelle des philosophischen (Um-) Denkens:

Es sei betont, dass zur Zeit Rokitansky´s ein Unterricht in Philosophie die Voraussetzung für ein Medizinstudium darstellte. Von der Aufklärung kommend, geprägt durch den Rationalismus und hier sind zu nennen Descartes, Spinoza, Leibniz und Hobbes, sowie dem Empirismus mit den Persönlichkeiten wie Locke, Berkeley, Hume, Montesquieu und Rousseau überschritt man die Schwelle zum Idealismus, jene grundlegende philosophische Ausrichtung, dergemäß das Wesen der Welt nicht in der Struktur der Dinge bzw. der Materie, sondern im Geist bzw. der Vernunft liegt, die die Materie durch Ideen organisiert. Im Gegensatz zum Materialismus, Realismus oder Empirismus wird das Wesen der Welt nicht ausschließlich in naturwissenschaftlich erforschbaren Fakten gesehen, sondern in einem geistigen Prinzip, das die Welt durchdringt. Der deutsche Idealismus ist geprägt durch Rezeptivität, Spontaneität sowie Subjektivität und wird getragen durch Kant, Fichte, Schelling und Hegel.

Das philosophische Denken Rokitansky´s wurde gleichsam in Form einer Trinität durch die Schriften und Gedanken von Bernhard Bolzano, Artur Schopenhauer und Immanuel Kant. Der Prager Mathematiker und Religionsphilosoph Bolzano, der sich dem Liberalismus, den Ansprüchen des Individuums und der Beförderung des allgemeinen Wohles angenommen hat, musste auf Grund seiner liberalen Haltung, seine Professur für Religionsphilosophie wieder zurücklegen. Schopenhauer legte der Wirklichkeit jenes Willensprinzip zu Grunde, das er als Urgrund allen Leidens ansah. Schopenhauer sah in diesem Willen menschliches Triebverhalten, dessen Auswüchsen es gilt einen Aufschub aufzuerlegen. Genannt sei hier die Aggression unter den Menschen, begründet in einem nicht zu befriedigenden Daseinsdrang, aus dem schließlich auch das Leiden des Menschen erwächst. Der von Schopenhauer so bezeichnete Wille erzeugt ständig neue Bedürfnisse, die letztendlich Gefahr laufen nicht befriedigt werden zu können. Auf einer höhern geistigen Entwicklungsstufe kann der Mensch dem Diktat dieses Willens entrinnen und ist dadurch fähig sich „selbst zu erlösen“. In diesem Sinne propagiert Schopenhauer auch buddhistische Anschauungen und nennt die Askese als einen der Wege aus dem so genannten „Jammertal“. Und schließlich war es Immanuel Kant, der u.a. mit seiner Schrift über die „Kritik der reinen Vernunft“ aus dem Jahre 1781 die „Kopernikanische Wende“ in der Philosophie einleitete. Es galt die Philosophie von ihrem durch empiristische und rationalistische Theorien bestimmten objektivistischen Ansatz zu befreien und dem subjektiven Aspekt der Erkenntnis herauszustellen. Den subjektiven Aspekt, den individuellen Aspekt, in dem der Mensch entsprechend seiner rezeptiven Möglichkeiten auch viel mehr von sich aus Entschiedenes in den Erkenntnisprozess einbringt. Die Evidenz der Subjektivität und der Umstand, dass einem das „Ding an sich“ (auf weiten Strecken) verborgen bleibt und sich die Wirklichkeit dem Menschen nicht so zeigt, wie sie sein mag, sondern so zeigt wie sie auf Grund des spezifischen Erkenntnisvermögens erscheint, gab, begreiflicherweise dem naturwissenschaftlichen Morphologen Carl Rokitansky im besonderen Maße zu denken. Rokitansky hat die Schwelle beschritten und auch diesem philosophischen Denkansatz Raum gegeben. Er hat sich nicht abgegrenzt, sondern den Brückenschlag versucht und neben dem, was in der Anschaulichkeit trennen könnte, das aufgegriffen, was verbinden könnte: „Wir wissen von Erscheinungen, Erkanntem, Vorgestelltem, aber daran knüpft sich nicht die Überzeugung, dass die Dinge außerdem noch etwas enthalten, was nicht anschaulich erkannt werden kann“. Realismus und Idealismus können „friedlich miteinander“ koexistieren: „Der Idealismus postuliert demnach ein Transzendentes, welches das innerste Wesen der Dinge ausmacht und jeder anschaulichen Erkenntnis entrückt ist“.

In einem Rückgriff auf Bernhard Bolzano forderte Rokitansky die größtmögliche Selbständigkeit des Individuums und betonte zugleich: „Wenn der Mensch in der Medizin nur mehr als Objekt der Forschung gelte, ginge die Würde des Menschen verloren“. Die Würde des Menschen, die so wesentlich ist und die es gilt immer wieder auf den Plan zu rufen. Es ist die Würde des Menschen, der medizinisch Machbares unterzuordnen ist. Es ist auch die wichtige Erkenntnis, dass helfendes Handeln möglicherweise zur, die Würde gefährdenden, beherrschenden Herrschaft ausarten kann.

4. An der Schwelle des Todes:

Der Mensch ist hineingeworfen in das Leben. Seinen wahrhaftigsten Mitgliedsausweis erkennt er in seiner Geburt und seinem Tod. Beides Ereignisse außerhalb unseres erlebten Bewusstseins. Wir können uns nicht an unsere Geburt erinnern und nahe dem Tod sieht man auch den Tod nicht mehr. Die Begrenztheit aber unserer Existenz erkennen wir am Schicksal der Anderen. Wir wissen, dass wir sterben werden, weil wir den Tod Anderer erleben. Ihr Ende macht uns unser eigenes Ende begreiflich, indem wir uns vergleichen, indem wir die Solidarität fühlen, indem wir die Aggression vergessen, denn wir sind so ähnlich. Der Pathologe ist oft mit dem Tod, mit dem Unausweichlichen konfrontiert. Der Tod, der dazu führt die Qualität des Augenblicks zu pflegen, der dazu führt die Tage zu zählen und zu nützen. In der Konfrontation mit dem Tod, erfassen wir unser Leben, eingebunden in die Kreisläufe des übergeordneten Systems. Und wir erheben unseren Blick in die klare Nacht, um einen Bruchteil des Kosmos zu erfahren, halten inne und die vielen Worte sie haben sich erübrigt. Wie kann ich es begreifen, wo unser Sonnensystem vor Milliarden Jahren entstanden ist, die Sonne ein Stern von vielleicht Milliarden Sternen der Milchstrasse ist und man für eine Querung die Zeit von 100.000 Jahren benötigen würde, wenn man sich mit 300.000 km pro Sekunde fortbewegen könnte. Ist der Weltraum endlich? Bisher spricht viel dafür, dass der Weltraum unendlich ist, aber besteht nicht die Möglichkeit einer Illusion vergleichbar einem Spiegelkabinett? Sehen wir womöglich viele Bilder von ein und derselben Galaxie? Wir kennen die Antwort nicht. Hans Joachim Bogen formulierte einmal: "Unter der Annahme, dass nur jede hunderttausendste Sonne ein Planetensystem mitbekommt, müssen wir immer noch mit einer Million von Planetensystemen rechnen". Wer kann sich das vorstellen mit einem Verstand so flach wie ein Blatt Papier, aufgefordert die Höhen und Tiefen des Räumlichen zu verstehen? In erinnernder Anlehnung an Morgenstern stellt man die Frage: „Formt nicht das Unbegreifliche das Wissen zur Weisheit und das Herz zum Glauben?“. Bischof Stecher forderte die medizinische Welt im Rahmen des Österreichischen Chirurgenkongresses 1997 auf „die wissenschaftlich ausgerichtete eigene Optik fallweise auf Unendlich zu stellen, damit wir hie und da bis dorthin schauen, wo sich Himmel und Erde berühren“. Rokitansky sah, dass „in der Sicherstellung einer transzendenten Weltordnung eine Befriedigung liegt, wie sie der Materialismus nicht zu bieten vermag“.

Sehr geehrtes Auditorium, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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